Wieviel Schönheit geht auf eine CD? In diesem Fall 50 Minuten und 9 Sekunden. So lange ist “Cast of Thousands”, das neue Album der Briten Elbow, und von der ersten bis zur letzten Sekunde dieses Meisterwerks schwebt man einen halben Meter über dem Boden, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Und es verschwindet nicht, denn diese Platte hat das, was große Alben immer schon ausgezeichnet hat: sie wird mit jedem Durchlauf besser, ständig eröffnen sich neue Details, entfaltet sich das Elbow-Sounduniversum in seiner ganzen melancholischen Pracht.
Für ihr Debut-Album “Asleep In The Back” hatte sich die Band aus Manchester noch zehn Jahre lang Zeit gelassen - notgedrungen, denn so lange dauerte es, bis sie ein Label fanden, dass sie nicht sogleich wieder fallen ließ. Die Songs von “Cast Of Thousands” hatten nicht so lange Zeit um zu reifen, diesmal sollte die Ernte schneller eingefahren werden. Trotz aller anfänglichen Zweifel der Band, ob es unter Zeitdruck möglich sein würde, den Standard des hochgelobten Vorgängers zu erreichen, schafften sie es und setzten sogar noch einen drauf. Irgendwo zwischen Radiohead, The Verve und REM zu “New Adventures in Hi-Fi”-Zeiten haben sie ihren eigenen, unverwechselbaren Sound gefunden, beeinflußt auch von den späten Talk Talk und der Beta Band. Abgedreht, neurotisch, melancholisch, dazu subtile, unwahrscheinlich effektive Melodien. “Prog-Rock ohne Solos” pflegt Sänger Guy Garvey den Stil seiner Truppe zu charakterisieren. Nicht zu unrecht, denn diese Musik ist progressiv im wahrsten Sinne des Wortes. Oft gelingt es ihr zu überraschen: Den Gospelchor im Opener “ribcage” hätte man wohl nicht vermutet, dass dieser gegen Ende der Platte im Höhepunkt “grace under pressure” wiederkehrt, überrascht dann weniger - die Unterstützung durch das Publikum des Glastonbury Festivals 2002, das im Chor “We still believe in love, so fuck you!” singt, macht dann aber klar: wird einmal Bekanntes wiederholt, folgt sofort das nächste Experiment. Elbow zeigen mit “Cast Of Thousands”, dass sie zu den innovativsten Popgruppen der letzten Jahre zu zählen sind. Scheinbar mühelos verstehen sie es, kompositorische Meisterwerke in eingängige Popsongs zu verpacken und dem Hörer die große Kunst geradezu unterzujubeln. Genial. Guter Pop, der nie fade wird und sich garantiert auch in 20 Jahren noch ohne Schamgefühl hören läßt. Also: kaufen, einlegen, Kopfhörer aufsetzen, play drücken, Augen schliessen und - schweben!
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